Im Juni 1895 gründete sich in Dieburg der Katholische Gesellenverein, dem die Kolpingsfamilie entsprang / Bildung, Geselligkeit und religiöser Halt / Feierlichkeiten erst 2021
„Treu Kolping“ seit 125 Jahren: In diesen Tagen feiert die Kolpingsfamilie Dieburg dieses Jubiläum. Zwar hat die 250 Mitglieder starke Vereinigung die akademische Feier (nun am 30. Mai 2021) und die öffentliche Sause im Klostergarten (3. und 4. Juli 2021) coronabedingt ins kommende Jahr verschoben. Den besonderen Geburtstag und die Entwicklung der lokalen Kolpinger seit ihrer Gründung an der Gersprenz will unsere Zeitung aber dennoch jetzt würdigen. In mehreren Artikeln schauen wir auf Erzählenswertes rund um die Dieburger Kolpingsfamilie und machen heute mit einem historischen Abriss den Anfang.
Im Juni 1895 gründete sich an der Gersprenz der „Katholische Gesellenverein“, wie die damalige „Starkenburger Provinzialzeitung“ kundtat. Weiter berichtete das Blatt, dass zum Auftakt 30 Mitglieder dabei waren und ihre ersten Versammlungen zweimal wöchentlich im „Grünen Baum“ stattfanden. Als treibende Kräfte des neuen Vereins werden der damalige Pfarrer Johannes Stumpf und der Schlossermeister Wilhelm Hiemenz genannt. Hiemenz hatte Erfahrung mit Gesellenvereinen, war schließlich auch nicht als Meister vom Himmel gefallen. Zur Gesellenzeit war er auf Wanderschaft gegangen und bereits 1888 einem Gesellenverein in Stuttgart beigetreten.
Schon bald wurde der junge Verein, aus dem erst später auch namentlich die Kolpingsfamilie hervorgehen sollte, sowohl im kirchlichen als auch weltlichen Leben Dieburgs aktiv. Ganz im Sinne von Adolph Kolping (1813 bis 1865) machte es man es sich auch an der Gersprenz zum Ziel, jungen (zunächst katholischen) Handwerkern Bildung, Geselligkeit und religiösen Halt angedeihen zu lassen. Konkrete Zeichen in Dieburg waren eine Theatergruppe und eine Gesangsabteilung sowie der Aufbau einer Vereinsbibliothek. 1913 soll diese bereits 243 Bände umfasst haben. Die Tradition der Theateraufführungen hielt sich bis 1959, das letzte Stück war der „Jedermann“.
Was nicht heißt, dass der gesellige Part verkümmerte. Die Kappenabende kamen hinzu und haben sich bis heute gehalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg – während der 40 Jahre im Vereinslokal „Café Mayer“ – gründete die Kolpingsfamilie eine Hauskapelle und ein Männerballett. Der Fastnacht ist sie seit 1986 stetig durch die „Don Camillo Bar“ im heutigen Vereinsheim, dem Pater-Delp-Haus, treu. Ehrensache, dass unsere Zeitung auch dem Werdegang dieser beliebten Anlaufstelle an den tollen Tagen demnächst einen eigenen Artikel widmen wird. Schließlich machte die Bar die Kolpingsfamilie 1997 gar zum Träger der „Holzisch Latern“ des Karnevalvereins.
Der Einsatz in Kirche und Gesellschaft steht bei der Dieburger Kolpingsfamilie seit jeher auf dem Fundament der Bildung. Den Horizont erweiterten von Beginn an Besuche bei anderen Kolpingsfamilien, Konferenzen , religiöse Seminare, weltliche Vorträge und Wallfahrten. Mehrfach waren die Dieburger Gastgeber der Diözesankonferenz.
Solidarität predigt man bei den lokalen Kolpingern nicht nur, sondern lebt sie auch: Schon 1908 schuf man eine „Weihnachtssparkasse“, aus der unter anderem durchreisenden Gesellen ein Nachtquartier und Frühstück bezahlt werden konnten. Während Wanderburschen und – mädels heute nur noch selten durch Dieburg streifen, waren es im frühen 20. Jahrhundert bis zu sechs Gesellen täglich.
In ihrer weiteren Geschichten sammelte die hiesige Kolpingsfamilie für Kriegsgefangene ebenso wie für Bedürftige in Afrika, Brasilien, Indien, Portugal und Rumänien. In Arbeitseinsätzen renovierten Kolpinger in den 80ern den Saal des Pater-Delp-Hauses und dieWerktags-Kapelle der Stadtkirche. Auch mit Kranken- und Altenbesuchen eroberten Mitglieder der Kolpingsfamilie einen Platz in den Herzen vieler Dieburger.
Dazu trugen stets auch die Feiern und öffentlichen, längst nicht nur kirchlichen Angebote bei. Zum 25-jährigen Bestehen, genau vor einem Jahrhundert, stellte die Kolpingsfamilie in Dieburg einen Festzumzug mit 61 Nummern auf die Beine. Die Sause zum 30-jährigen Bestehen (1925) hatte mit Festhalle und Rummelplatz im Schlossgarten auch etwas vom viel später initiierten Schlossgartenfest. Beim 50-jährgen (1945) reicht als Grund zur Freude die Erleichterung, dass das Ende der Naziherrschaft auch die Unterdrückung katholischer Vereinigungen ist.. Das 75-, 90-, 100- und 110-jährige Bestehen feiern die Dieburger Kolpinger jeweils ein ganzes Wochenende lang. Zu Dauereinrichtungen über viele Jahre und teils bis heute wurden Aktivitäten wie Autosuchfahrt, lukullische Abende, Churrasco-Essen, Kleidersammlungen Sportturniere und Reisen, offen für alle Altersgruppen, Geschlechter und Konfessionen.
Mit kleinen und großen Rückschlägen musste die Kolpingsfamilie Dieburg ebenfalls immer wieder fertig werden. Die Verlegung des 125-jährigen Jubiläums wegen Corona und der Umstand, dass die 1999 gegründete Kolpingsjugend seit zwei Jahren (zumindest vorläufig) nicht mehr aktiv ist, nehmen sich harmlos aus, wenn man beispielsweise an den Ersten Weltkrieg zurückdenkt: Die Chronik schreibt von 24 Mitgliedern der Kolpingsfamilie, die dort ihr Leben ließen. jd
Ein Bericht von Jens Dörr im Dieburger Anzeiger.